Entstehungsgeschichte der Stadtwappen Kierspe und Rönsahl
Das Recht zur Wappenführung war den bereits seit 1841 zu einem Amt zusammengeschlossenen Gemeinden Kierspe und Rönsahl am 17. Oktober 1935 durch den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen in Münster verliehen worden; das Amt erhielt das Recht zur Wappenführung von der gleichen Behörde am 20. August 1936.
So reibungslos sich der Austausch der Wappen nach der Stadtwerdung am 01.01.1969 vollzog (das Recht zur Wappenführung für die Stadt Kierspe wurde am 29.07.1969 vom Regierungspräsidenten Arnsberg verliehen), so kompliziert liefen die Dinge vor der Wappenannahme 1935/36 ab.
Es ist deshalb notwendig, zugleich auch wegen interessanter Einzelheiten der Kiersper Wappengeschichte, diese etwas ausführlicher zu behandeln.
Das Kiersper Amtswappen war die Kombination der beiden Gemeindewappen von Kierspe und Rönsahl, es ist also ohne diese beiden nicht zu verstehen.
Foto: © Stadt Kierspe
Da die Gemeinde Kierspe als Beizeichen zum märkischen Schachbalken einen Raben im Schildhaupt führte, war eine Übernahme in das Amtswappen wohl zwangsläufig, denn Kierspe war die weitaus größere Gemeinde. Anders verhielt es sich mit dem Rönsahler Wappen, das im Schildhaupt den Hl. Servatius und im Schildfuß den bergischen Löwen führte. Das Schildhaupt des neu zu schaffenden Amtswappens war durch den Raben (= Rauk) belegt, so konnte im Schildfuß nur der Löwe Platz finden. Dies wurde ebenso zu einem Problem wie die Zeichnung des Rauk in den verschiedenen Kiersper Wappen.
Prof. Hupp hatte ihm in seinem Entwurf für das Amtswappen eine Gestalt gegeben, die von der in dem einige Monate vorher genehmigten Wappen der Gemeinde abwich. Diese aber hatte den Kierspern aus folgendem Grund nicht gefallen. Die Gemeinde Kierspe führte bereits seit 10 Jahren ein Wappen, das Prof. Hupp auf Veranlassung von Landrat Dr. Thomeé, als dieser noch im Dienst war, entworfen hatte. Ein ordentliches Verfahren hatte es Mitte der zwanziger Jahre für diese Wappenführung nicht gegeben. Wie die Kiersper tatsächlich zu diesem Wappen gekommen waren, geht aus dem späteren Schreiben des Bürgermeisters an Dr. Thomeé hervor: "Daher denke ich an eine Formgebung des Raben, wie er der Gemeinde Kierspe seinerzeit von Ihnen als Landrat verliehen wurde." - Das passt so richtig in die Wappengeschichte unseres Raumes, dass Landrat Dr. Thomeé als Instanz für die Genehmigung von Wappen fungierte. Auf der "Geschichte der Land- und Kirchengemeinde Kierspe" von Dr. Deisting/Pastor Meyer zu Theenhausen aus dem Jahre 1925 ist das Wappen abgebildet.
Als jedoch die Kiersper erlebten, wie die umliegenden Gemeinden - wie das Gesetz es erforderte - ihre Anträge auf förmliche Verleihung eines Wappens stellten, kamen ihnen Bedenken und so stimmte auch der Geheimrat zu, dass der Bürgermeister 1934 das Genehmigungsverfahren für das bereits geführte Wappen einleitete. Die zeichnerische Unterlage für diesen Antrag entsprach in Bezug auf den Raben aber nicht dem alten Entwurf; der Rabe war naturalistischer aufgefasst. Und gerade für diese Zeichnung wurde vom Oberpräsidenten die Genehmigung am 17. Oktober 1935 erteilt. Kaum aber waren die Kiersper im Besitz eines förmlich genehmigten Wappens, waren sie unglücklicher als vorher.
So schrieb denn auch der Bürgermeister an Dr. Thomeé: "Nach meiner jetzigen Auffassung macht der Rabe in dem alten Wappen einen weit heraldischeren Eindruck als in dem neuen." Und deshalb wünschte er für das Amtswappen wieder den alten Raben.
An Prof. Hupp schrieb Dr. Thomeé wenige Tage nach Erhalt des Briefes aus Kierspe: "Sodann das leidige Thema Kierspe. Ich habe dieserhalb gestern noch einmal mit den regierenden Dorfgrößen eingehend verhandelt, die ich beinahe liebgewonnen habe in ihrer zähen Anhänglichkeit an ihren alten Wappenstempel, den ich ihnen nach Ihrem alten ersten Entwurf damals noch als (ach so königlicher) Landrat aus eigener Legalität zu verleihen mich anmaß. Das Wappen zeigte den Raben in einer charakteristischen, außerordentlich wirksamen Gestaltung."
Anders erging es den Rönsahlern, deren Genehmigungsverfahren zur gleichen Zeit mit dem der Gemeinde Kierspe lief. Der Huppsche Entwurf fand gleich allenthalben Anklang bis auf die Vermehrung der Felder des Schachbalkens auf zehn; neun Felder gefielen Hupp nicht, weil die drei Balken dann mit der Farbe endeten, mit der sie auch begannen, und so entschied er sich für acht, wie bei den anderen Gemeinden des Kreises Altena.
Der Aufbau des Rönsahler Wappens entsprach in seiner Dreiteilung anderen des Kreises, ebenso die Hereinnahme des Patrons der alten Kirche. Die Westfälische Landeszeitung "Rote Erde" berichtete am 10. November 1935 über das neue Wappen:
"Das Rönsahler Wappen beherrscht der Hl. Servatius, ein früherer Bischof von Lüttich, dem die Kirche zu Rönsahl geweiht war. Noch heute erinnert der Servatius-Brunnen, ein früherer Wallfahrtsort in der Nähe des Dorfes, an ihn. Im Volke ist er auch als einer der drei Eisheiligen bekannt. Ihm ist der 13. Mai, der Tag der Rönsahler Kirmes, geweiht. Bergischer Löwe und märkischer Schachbalken bezeichnen die Zugehörigkeit der Gemeinde zu diesen beiden Häusern."
Dass bei der Kombination der beiden Gemeindewappen zum Amtswappen der Rabe in das Schildhaupt kommen sollte, bereitete Prof. Hupp Kopfzerbrechen. Nicht etwa die Verdrängung des Hl. Servatius, wohl aber mit der Stellung des Löwen war es so eine Sache. Solange der Hl. Servatius über ihm stand, mochte es noch angehen, aber der Rabe? So schrieb er denn auch an Geheimrat Thomeé: "Gestern habe ich lange mit Ihnen geplaudert - wenn Sie auch nicht viel davon gehört haben werden. Ich hatte nämlich das Wappensiegel des Amtes Kierspe nach Ihrer Angabe skizziert. Dann aber wollte es mir nicht gefallen, dass der gemeine Rabe so wichtig oben anstehe und der ehemals landesherrliche Löwe unten hinkuschen muss."
Aber es blieb dabei, und so kam das Amt Kierspe zu seinem Wappen, das nun seinerseits wie geschildert auf das der Gemeinde Kierspe zurückwirkte.
Landrat Dr. Thomeé schrieb unter den Brief des Amtsbürgermeisters vom 20. Januar 1936, aus dem oben bereits zitiert wurde: "Die Männer und Räuke von Kierspe liegen hart an mich wegen ihres zurückersehnten (hochgestellten) Wappenvogels. Die Provinz oder das Archiv planen neuerdings die Herausgabe eines kleinen Büchleins mit sämtlichen westfälischen Gemeindewappen, und da fürchten die wappenfrohen Kiersper, noch mit ihrem im letzten Genehmigungsverfahren (durch ihre eigene Schuld) umgestalteten Vogel aufgenommen zu werden."
Er bittet Prof. Otto Hupp: "Also bitte, lieber Professor, geben Sie uns um Gottes willen wieder ganz genau den ursprünglichen hochgeständerten Rauk,... der, durch so schulmeisterliche Eselei, bei den damaligen Ortsbehörden als wenig naturalistisch diskriminiert worden war."
Hier wird gesagt, warum es eigentlich 1934/35 zur Änderung des Rabenbildes gekommen war. Aber die "Eselei" wurde wieder gutgemacht, und es geschah so, wie Thomeé es wünschte. Hupp entwarf zum dritten Mal ein Wappen für die Gemeinde Kierspe, das sich von dem ersten nur durch die Farbfolge des Schachbalkens unterschied. Ein förmliches Verfahren hat es aber wohl nach dieser erneuten Veränderung nicht mehr gegeben.
Der Rabe war ohne Zweifel etwas Besonderes im bisher bekannten Wappenwesen unseres Raumes, und es ist schon interessant, die Spuren noch ein wenig weiter zu verfolgen. Ein renommierter Kiersper Bürger legte 1934 folgende Notiz an, die über die ursprüngliche Intention des Wappens Auskunft gibt, der aber Dr. Thomeé und Prof. Hupp offensichtlich nicht gefolgt sind: "Das in seiner jetzigen Form bestehende Wappen der Gemeinde Kierspe ist auf meinen Antrag gestaltet und angenommen worden, der kurz nach dem Kriege zuerst gestellt war. Das Wappen sollte ein Stück altgermanischer Geschichte darstellen.
Kierspe ist eine alte Kultstätte. Darauf deuten die alten Thingslinden hin, die sich auf der Höhe östlich des Dorfes befinden. Ferner zeigt die Anlage des "Klösterchens", dass das Christentum nur über Schwierigkeiten hier hat Fuß fassen können.
Der Ausdruck "Kiersper Räuke" bezeichnete die jüngeren angehenden Soldaten, die im blauen Kittel bei den Musterungen "quakten", d.h. den Ruf des Raben nachmachten. Dieser Ruf war auch der Kampfruf bei Keilereien und wird auch wahrscheinlich in früherer Zeit Kampfruf gewesen sein.
Um diesen Kampfruf zu charakterisieren, schlug ich vor, das Wappen so darzustellen, dass über dem Kreuz zwei fliegende "Räuke" - Raben schreiend dargestellt erschienen. Die beiden Raben sollten Hugin und Munin, die weisen Vögel Wodans, die man als Gedanke und Erinnerung deutet, verkörpern und ein Ansporn für das lebende Geschlecht sein, sich der angestammten Art gegenüber aufgezwungenen Neuformen bewusst zu sein.
Der Heraldiker hat davon aber keine Anregung genommen und das Wappen der Grafschaft Mark genommen und einen Raben hineingesetzt. Dadurch ist zwar ein Wappen entstanden, es fehlt ihm aber der plastische Sinn, der seinen Träger charakterisiert und ihn mahnt. Dem Gestalter hat das Verständnis für den Unterschied zwischen Schablonisierung und charakteristischer Eigenart im Streben zur Volksgemeinschaft gefehlt. Dadurch ist der deutsche Gedanke des Wappens verlorengegangen, der dem ursprünglichen Antrag zugrunde lag."
Auf der gleichen Linie liegt ein in den Raum zugezogener Lehrer, der vom Zeitgeist beflügelt mit Dr. Thomeé über das Kiersper Wappen korrespondierte: "Von allem, was zu den Rabenvögeln gehört, zählen der starke Kolkrabe und die elegante Blauracke unbedingt zum Adel, alles andere ist jedoch Plebs. Mir ist der Gedanke, dass die Kiersper den adeligen Rauk im Wappen führen, entschieden sympathischer, als wenn es die plebejische Rabenkrähe, der heimtückische Räuber sein soll." Und er fährt an anderer Stelle fort: "Wode wurde in Verruf erklärt, seine heiligen Raben kamen in Acht und Aberacht. In den Dörfern der getauften Sachsen hatten sie keine Stätte mehr. Aber in manchem alten Brauch schläft unerkannt noch die Zeit, als Wodes Roß noch die letzte Garbe des Feldes und den heiligen Vögeln der letzte Apfel des Baumes verblieb. Dass die edlen Wotansvögel nicht vergessen sind, das zeigen die Kiersper Räuke. Das ist kein Spottname, es ist ein Ehrenname für die Kinder dessen, der unter dem Horstbaum des Raben zunächst wohnte und auf dessem moosigen Strohdach gern auch die Räuke Umschau hielten, bis sie in die Acht kamen oder von Nützlichkeitsaposteln gemordet wurden. Die Kiersper sollen stolz sein auf ihr Wappentier. Ich hoffe, dass es nicht gleich zu Reibereien mit den "Schwarzröcken" kommen wird."
Ganz anders sieht der Kiersper Heimatforscher Fritz Gogarten die Sache. Nach seiner Meinung hängt der Wappenvogel mit dem unerklärlichen starken Auftreten von Krähen in der Mitte des 18. Jahrhunderts zusammen, die zu einer Landplage wurden. "Das Kiersper Wappen ist nur mit einer Rabenkrähe vergleichbar. Der Rauk ist es nicht. Die langen Beine und der Kopf zeigen, dass es kein Rauk ist, sondern eine Rabenkrähe."
Im Übrigen hätte nach Gogartens Meinung der bergische Löwe nicht ins neue Stadtwappen aufgenommen werden dürfen. Für Rönsahl hatte er eine gewisse Gültigkeit, weil die rheinischen Kirchgänger früher in Rönsahl beerdigt wurden. - In der Tat erweckt ja der Löwe in Kierspes Stadtwappen den Eindruck, als ob Teile des Stadtgebietes in territorialer Zeit zu Berg gehört hätten.